Ein Jahr danach: Syriens Frauen zahlen weiterhin den Preis für Assads Herrschaft
Von Muzna Aljundi, Leiterin des Women-Now-Zentrums in Idlib
Es ist ein Jahr vergangen, seit das Assad-Regime gestürzt wurde. Doch für viele Frauen in Syrien bedeutete der Fall eines Diktators noch längst nicht den Aufstieg zu Freiheit und Gleichberechtigung.
Frauen wurden – genau wie Männer – ohne jeden Grund von Assads brutalem Sicherheitsapparat festgenommen und gefoltert. Als die revolutionären Kämpfer Tausende Menschen aus den Gefängnissen des Regimes befreiten, wurden die männlichen Gefangenen als nationale Helden gefeiert. Für Frauen jedoch sieht die Realität anders aus.
Wann immer eine Frau aus der Haft entlassen wurde, lautete die erste Frage nicht: „Wie geht es dir?“ – sondern: „Hat dich jemand angefasst? Wurdest du sexuell missbraucht?“ In vielen unserer Gemeinschaften sind Scham und Stigmatisierung gegenüber Überlebenden sexualisierter Gewalt so tief verwurzelt, dass sie extreme Reaktionen hervorrufen – und das Trauma der ehemaligen Gefangenen noch verstärken.
Ich kenne Familien, die Frauen nach ihrer Entlassung aus der Haft nicht wieder aufgenommen haben – und andere, die sie zwar aufgenommen haben, sie aber unter Hausarrest stellten. Einige Frauen wurden zur Ehe gezwungen, um die „Schande abzuwaschen“. In vielen Fällen wurden Frauen sogar von ihren eigenen Kindern getrennt. Frauen wurden zudem von beruflichen Möglichkeiten ausgeschlossen – allein deshalb, weil sie von Assad inhaftiert worden waren.
Warum sollte ein Mann die Freiheit dieses neuen Syriens auf eine Weise erleben dürfen, während eine Frau für immer mit dem Stigma der Haft gebrandmarkt wird – für etwas, dessen sie nie schuldig war? Die Wahrheit ist: Unsere Gesellschaft akzeptiert überlebende Frauen einfach nicht. Keine einzige Überlebende, der wir begegnet sind, sagte, dass jemand sie gefragt hätte: „Wie geht es dir jetzt?“ Aber wir tun es. Wir stellen diese Frage.
Women Now for Development arbeitet seit Jahren in Syrien, gemeinsam mit unseren Partnern von Women for Women International, die in Zeiten von Erfolg und Freude ebenso an unserer Seite standen wie in Momenten von Trauer und Krise. Gemeinsam haben wir hunderte überlebende Frauen unterstützt – und tun dies bis heute. Nach Jahren im Untergrund fühlt es sich gut an, nun offen in unseren Zentren in Idlib und Damaskus arbeiten zu können.
Durch unsere Partnerschaft mit Women for Women International helfen wir Überlebenden dabei, ihr Leben nach unvorstellbaren Traumata wieder aufzubauen – mit psychosozialer Unterstützung, wirtschaftlichen Fähigkeiten und Trainings sowie sicheren Räumen für Heilung.
In dem neuen Syrien, das wir gemeinsam aufbauen, hoffe ich von Herzen, dass unsere Gesellschaft das Konzept des Stigmas ablegt – ein Konzept, das weder moralisch noch legitim ist. Ich hoffe außerdem, dass Frauen, die die Grausamkeit des früheren Regimes überlebt haben, mit der neuen Regierung die Möglichkeiten, Arbeitsplätze und Räume erhalten, die ihnen zustehen. Sie sollten aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, sodass sie – gemeinsam mit allen syrischen Menschen in ihrer Vielfalt – ihre Menschenrechte genießen und in Würde und Sicherheit leben können.
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