Geschichten aus Afghanistan: Obaida
Mein Name ist Obaida, und ich lebe in Afghanistan. Ich bin Mutter von sechs Kindern – zwei Töchtern und vier Söhnen. Mein Mann hat früher als Rikscha-Fahrer seinen Lebensunterhalt verdient, aber wir sind trotzdem nicht über die Runden gekommen. Eines Tages hörte mein Mann vom Dorfvorsteher von Women for Women International, einer Organisation, die in unserem Dorf ein Zentrum eröffnet hatte. Mein Mann hat mich dazu ermutigt, mich für das Programm anzumelden und ich habe mich sehr darüber gefreut.
Das Programm begann eine Woche nach der Anmeldung. Im Programm hatten wir einen geschützten Raum, in dem ich mit anderen Frauen in den Kursen zum Erwerb von Fähigkeiten und zur Stärkung der sozialen Kompetenz in Kontakt treten konnte. Ich lernte Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich in meinem Leben die Möglichkeit dazu haben würde.
Durch das Programm erhielt ich ein monatliches Stipendium, mit dem ich meine Familie unterstützen konnte. Im Rahmen der Berufsausbildung lernte ich zu nähen und verdiente Geld, indem ich Kleidung für meine Nachbarn nähte.
Natürlich verlangte ich nicht viel Geld für die Kleidung, denn es war der Beginn meines Geschäfts, aber ich begann, mir eine vielversprechende Zukunft und ein besseres Leben für mich und meine Familie vorzustellen. Meine Kinder gingen jeden Tag zur Schule, wir konnten es uns leisten, Essen auf den Tisch zu stellen, und die Dinge liefen endlich gut. Doch bald schon änderte sich alles.
Im August 2021, als die Welt entsetzt zusah, wie die neue de-facto-Regierung die Kontrolle über Kabul übernahmen, änderte sich unser Leben zum Schlechten. Ich werde diese Zeit nie vergessen.
Es war Mitternacht, als wir Schüsse hörten und Menschen schrien. Es war spät in der Nacht, aber alle Menschen in unserer Nachbarschaft waren wach, auch die Kinder. Alle wollten wissen, was los war.
Der Morgen begann mit Tageslicht, aber unser Leben lag völlig im Dunkeln. Plötzlich waren alle Schulen, Büros und Aktivitäten verboten. Afghanistan stand unter Quarantäne. Nicht wegen der Pandemie, sondern wegen der neuen de-facto-Regierung.
Wieder geriet unser Leben in Ungewissheit und extreme Armut. Mein Mann musste aufhören zu arbeiten, weil wir Angst hatten, was mit uns passieren könnte. Wir hatten nichts zu essen und keine innere Ruhe. Unsere Kinder weinten ständig, weil sie Hunger hatten. Während der Ausbildung hatte ich etwas Geld von meinem Stipendium gesammelt, das ich sparte, um eine Nähmaschine zu kaufen. Ich nutzte meine Ersparnisse, um Lebensmittel für uns zu kaufen, aber das Geld ging uns bald aus. Unsere Lage verschlechterte sich immer mehr, und wir konnten nur noch um Frieden und Nahrung beten.
Nach einigen Monaten der Verzweiflung hörte ich im Februar 2022, dass Women for Women International seine Schulungszentren wieder eröffnete. Das war wie ein Hoffnungsschimmer in diesen dunklen Zeiten. Ich brach in Tränen aus. Aber dieses Mal waren es Tränen des Glücks!
In der Nacht vor der Wiedereröffnung unseres Zentrums war ich zu aufgeregt, um zu schlafen. Am nächsten Tag ging ich zum Zentrum und meldete mich endlich wieder für das Programm an. Zusätzlich zu dem monatlichen Stipendium gab Women for Women International auch ein zusätzliches „Überwinterungsgeld“, um uns in diesen harten Zeiten zu unterstützen. Damit konnte ich Lebensmittel für meine Familie kaufen, und mit einem Teil des Geldes konnte mein Mann seine Rikscha wieder in Gang bringen und begann, Eis zu verkaufen. Ich ahnte nicht, dass unsere Schwierigkeiten noch lange nicht vorbei waren, und was dann geschah, stellte meine ganze Entschlossenheit und Stärke auf die Probe. Eines Tages im Mai 2022 war mein Mann auf dem Markt, als er mich anrief, um nach den Kindern zu sehen und mir zu sagen, dass er uns etwas zu essen bringen würde. Während ich mit ihm telefonierte, hörte ich plötzlich Schreie und Menschen weinen, und dann wurde das Telefon meines Mannes abgestellt. Ich rief ihn mehrmals zurück, aber sein Handy war ausgeschaltet. Er war einfach verschwunden, es gab keine Nachricht von ihm. Ich habe überall nach ihm gesucht, aber ich konnte ihn nicht finden. Keiner wusste, wo er sich aufhielt. Ich wandte mich an den Besitzer der Eiscremefirma, für die er arbeitete, der mir sagte, dass die de-facto-Regierung nach meinem Mann suchten und ihn an einen unbekannten Ort gebracht hatten.
Ich werde nie das schreckliche Leid vergessen, das wir durchgemacht haben, ohne zu wissen, ob er lebt oder tot ist.
Während seiner Abwesenheit, da ich immer noch am Programm teilnahm, kaufte ich mit dem Stipendiengeld einige Hühner und begann, Kleidung für andere zu nähen, um meine Familie zu unterstützen. Nach 15 Tagen wurde mein Mann freigelassen. Wir erfuhren, dass er verhaftet und gefoltert wurde, nur weil er mit mir telefoniert hatte.
Women for Women International vermittelte mir die Fähigkeiten, die ich brauchte, um meine Familie zu unterstützen. Ich betreibe immernoch ein kleines Geschäft, in dem ich Kleidung nähe, und verkaufe jetzt auch Eier mit dem Hühnerstall, den ich im Rahmen des Programms erhalten habe. Mit dem Geld, das ich verdiene, kann ich meine Familie ernähren und auch einen Teil davon sparen. Ich weiß zwar nicht, was die Zukunft für uns bereithält, aber ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben endlich wieder Schritt für Schritt zusammensetzen kann.
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