MEIN NAME IST CARITAS

GESCHICHTEN AUS RUANDA

Ich war in der Schule, als der Genozid in meinem Heimatland passierte. Von meinen acht Brüdern sind sieben gestorben. Auch mein Vater. Nur meine Mutter, einer meiner Brüder und ich überlebten. Nach diesem Ereignis hatte ich nicht mehr viel Lust, irgendetwas zu tun. Nach dem, was ich gesehen hatte, dachte ich, dass mein Leben an dieser Stelle zu Ende war. Ja, ich habe es geschafft zu überleben, aber es ist mir schwergefallen, mein Heimatland noch zu mögen. Aber als nach und nach wieder Menschen anfingen, in mein Leben zurückzukehren – auch Menschen, mit deren Anteilnahme ich nicht mehr gerechnet hatte – kam ich langsam wieder zu mir. Und auf diese Weise bekam mein Leben eine neue Chance. Meinen Bruder zu sehen, half, meine Perspektive zu ändern. Er war bei dem Angriff von einigen Kugeln getroffen worden und ich dachte nicht, dass er überleben würde. Also hatte ich mir eingeredet, dass ich alleine sterben würde. Aber jemand hat ihm geholfen und er kehrte zu mir zurück. Er ist noch am Leben und ich bin sehr glücklich. Eine Zeit lang dachte ich auch, ich würde meine Mutter nie wieder sehen. Ich versuchte, sie zu finden, aber alle sagten mir immer wieder, dass sie gestorben sei. Wieder hatte ich das Gefühl, dass mein Leben stehen geblieben war. Ich heiratete nicht und ging nicht mehr zur Schule. Aber dann, eines Tages, nach langer Suche, gelang es mir, sie zu finden. Es war wie ein Wunder. Wir waren eine Zeit lang obdachlos und das Leben war sehr hart. Ich fand Arbeit und schaffte es, etwas Geld zu sparen, mit dem ich ein kleines Haus mietete. Es hatte nur ein Zimmer und meine Mutter und ich lebten dort zusammen.

Caritas. Foto: Serrah Galos/WfWI

Ich bin 39 Jahre alt. Ich bin verheiratet und habe zwei eigene Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Und ich habe fünf weitere Kinder adoptiert, wegen des Völkermords.

CARITAS, PROGRAMMTEILNEHMERIN IN RUANDA

In dieser Zeit lernte ich meinen Mann bei einem Freund kennen. Dieser Freund war dem Völkermord entkommen, und ich ging dort hin, um seine Geschichte zu hören. Mein zukünftiger Mann war auch dort. Wir lernten uns kennen und begannen eine Beziehung. Seine erste Frau wurde während des Völkermords getötet. Er war meine erste große Liebe. Ich liebte diesen Mann, weil er mir immer erzählte, wie er dem Völkermord entkommen ist und wie er jetzt seine Kinder allein großzieht. Als ich ihn in seinem Haus besuchte, konnte ich sehen, wie schwer die alleinige Erziehung seiner Kinder für ihn war. Ich verliebte mich in seine Kinder und erklärte mich bereit, mich um sie zu kümmern. Also beschlossen wir zusammen zu leben.

Ich hatte den Traum, offiziell zu heiraten, mit einer richtigen Hochzeit, und als ich ihm das sagte, lehnte er ab. Das war unser erster Konflikt. Er wollte, dass ich zu ihm ziehe, um auf seine Kinder aufzupassen, während er auf der Suche nach einem Job war, um sie unterstützen zu können. „Wir werden sehen. Vielleicht später“, sagte er. Als ich sagte, dass ich ihn nicht ohne eine offizielle Trauung heiraten würde, sagte er mir: „Ich weiß, dass du Kinder liebst. Ich denke, du solltest mit mir zusammen diese Kinder großziehen und später kannst du Gott um die offizielle Hochzeit bitten.“

Ich ging zu seinem Haus, weil er mich darum bat, und ich sah die Kinder, die sehr arm waren und nicht versorgt wurden. Da beschloss ich, mich ihm anzuschließen, um mich um diese Kinder zu kümmern. Die Ehe war wirklich eine Herausforderung. Wir hatten gute und schlechte Zeiten – was in einer Ehe normal ist. Das Gute daran war, dass ich eine verheiratete Frau wurde und von der Gesellschaft respektiert wurde. Und ich habe auch Kinder geboren. Ich hatte eine Tochter, dann Zwillinge, dann einen Jungen. Aber die Zwillinge starben kurz nach ihrer Geburt. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Ich hätte vier Kinder haben können, aber jetzt habe ich nur zwei.

Ich dachte einmal, dass die Ehe auch mir Halt geben würde, dass nicht nur ich den Mann unterstützen würde. Aber man stellt im Leben fest, dass man nicht immer das bekommt, was man erwartet, sondern dass man nur enttäuscht wird. So bin ich manchmal enttäuscht, weil meine Erwartungen nicht erfüllt werden. Wenn man mit jemandem zusammenlebt, erwartet man, dass man zusammensitzt, dass man zusammen plant. Aber mein Mann und ich planen nicht zusammen. Er macht, was er will. Ich tue, was ich will. Wirklich, ich fühle mich schlecht, wenn ich das sage. Aber etwas, das ich sehr schätze, ist, dass er es geschafft hat, mir eine offizielle Hochzeit zu ermöglichen. Am Ende habe ich ihn überzeugt, und wir hatten unsere Hochzeit. Aber trotzdem war die gemeinsame Planung eine Herausforderung für meine Ehe – bis jetzt.

In der Vergangenheit hat mich mein Mann manchmal geschlagen. Er schlug mich so auf den Kopf, dass niemand sehen konnte, dass ich geschlagen worden war. So konnte ich ihn nicht einmal bei der Polizei anzeigen, weil es keine Beweise gab. Und er wollte, dass ich zu Hause bleibe. Er wollte nicht, dass ich rausgehe und andere Frauen treffe, mit denen ich reden könnte.

Um also mehr Ruhe zu Hause zu haben, schloss ich mich im Haus ein und erledigte alle anfallenden Arbeiten. Aber später hörte eine Freundin von mir von Women for Women International. Sie ging dorthin, um sich selbst anzumelden und half mir, Informationen zu bekommen. Das war, nachdem ich gerade meine Zwillinge entbunden hatte, die gestorben waren. Also konnte ich nicht hingehen. Meine Tochter ging dorthin und half mir, das Formular auszufüllen. Und später bin ich geflohen. Ich sage, dass ich geflohen bin, weil ich das Haus verließ, als ich sicher sein konnte, dass mein Mann nicht da war. Er wusste einen Monat lang nicht, dass ich zu den Schulungen von Women for Women International ging.

Aber schließlich fand er es heraus, weil er frei hatte und zu Hause blieb, aber ich, ich musste gehen – ich musste weiter zu meiner Ausbildung gehen. Und so sagte ich ihm, dass ich gehen würde, auch wenn er es nicht wollte. Später hatten wir Unterricht über die Rechte der Frauen. Und als ich von diesem Training zurückkam, setzte ich mich mit ihm zusammen und erklärte ihm alles, was ich gelernt hatte, und ich sagte ihm: „Wenn du mich von heute an noch einmal schlägst, werde ich dich anzeigen. Denn ich kenne jetzt meine Rechte.“ Die Antwort meines Mannes war: „Meine Frau, wer hat dir Gift gegeben? Denn das ist das erste Mal, dass ich dich so reden höre. Ich habe dir gesagt, dass die Frauen nicht gut sind. Wann hast du dich ihnen angeschlossen? Sie haben dir jetzt schlechte Dinge beigebracht. Du fängst an, mir schlechte Geschichten zu erzählen.“ Eines Tages folgte er mir und beobachtete mich, als ich das Büro von Women for Women betrat. Er wartete draußen auf mich, bis ich aus dem Training herauskam. Als ich wieder herauskam, sagte er mir, dass er mir gefolgt sei.

Ich sagte ihm: „Das ist nur für Frauen. Wenn du versuchst, das Büro von Women for Women International zu betreten, werden die Wachen dich schlagen.“

Also fing mein Mann an, mich wie eine unabhängige Frau zu behandeln, weil ich jetzt das tat, was ich als gut für mich empfand. Und nach ein paar Monaten fingen wir an, Perlenstickerei zu lernen. Und ich, weil ich es liebte, konnte den ganzen Tag lang daran arbeiten, während andere es nur ein paar Stunden lang taten. Ich lernte es sehr schnell. Ich sagte meinem Mann, dass wir jetzt, wo wir etwas lernen, den ganzen Tag dafür brauchen würden. Auf diese Weise würde er mich nicht mehr fragen, wo ich war. Ich blieb und lernte mit zwei Gruppen – als ich einmal fertig war, schloss ich mich einer anderen Gruppe an, um weiter zu lernen. Nach einem Monat begannen wir bereits, Fortschritte zu sehen. Mein Mann fing an, mich mit anderen Augen zu sehen und wir begannen, Dinge gemeinsam als Familie zu planen.

Ich entdeckte, was meine Arbeit mit den Perlen bewirken konnte. Meine Nachbarin, die extrem arm war, hatte keine Unterstützung wie ich. Aber eines Tages ging ich zu ihr nach Hause und stellte fest, dass sich alles verändert hatte. Als hätte sie plötzlich einen reichen Mann, der für sie sorgte: gute Stühle, alles sauber. Ich fragte sie, wie sie es geschafft hat, ihr Leben zu ändern und sie erzählte mir, dass es wegen der Perlen war. Es gab eine Vereinigung von Witwen, die von einer Frau unterstützt wurde, die sich in der Herstellung von Perlen ausbilden ließ und einen Markt in Europa fand. So schaffte es meine Nachbarin, gute Stühle in ihrem Haus zu kaufen, und ihr Leben hat sich wirklich sehr verändert. Ich fragte sie, ob ich auch dem Verein beitreten könnte. Sie sagte mir, da ich keine Völkermordwitwe sei, könne ich das nicht. Aber ich behielt immer den Wunsch in meinem Herzen, mitzumachen.

Weil ich die Bedeutung von Perlen kannte, versuchte ich meine Klasse bei Women for Women International davon zu überzeugen, dass wir Perlen herstellen sollten, aber die meisten Frauen verstanden die Bedeutung des Perlenmachens nicht. Also versuchte ich, es ihnen zu erklären, indem ich die Geschichte meiner Nachbarin erzählte und wie sich ihr Leben durch die Perlen verändert hat. Einige verstanden es und schlossen sich mir an. Wir waren insgesamt 10 und so konnten wir mit der Arbeit beginnen. Wir haben schnell gelernt. Ich war endlich in der Lage, das Geld zu verdienen, das ich brauchte, um zum Zahnarzt zu gehen. Ich hatte schon seit dem Völkermord Probleme mit meinen Zähnen. Wie du sehen kannst, habe ich jetzt gute Zähne.

Mein Mann schlägt mich nicht mehr. Ich konnte ein Stück Land kaufen und jetzt kann ich auch Essen, Kleidung und Haushaltsgegenstände kaufen. Mein Haus ist sehr sauber. Ich habe sehr schöne Stühle. Das habe ich gemacht. Ich habe es geschafft, diese Stühle selbst zu kaufen.

Es gibt einige Dinge, die mein Mann getan hat, die ich ihm verziehen habe. Aber es gibt auch einige, die ich ihm noch nicht verziehen habe. Wir sind noch immer dabei daran zu arbeiten. Ich versuche, Einfluss auf ihn zu nehmen, aber das ist sehr, sehr harte Arbeit.

Mein Leben ist sehr schön, weil ich ein Handwerk erlernt habe, das es mir ermöglicht, ein gewisses Einkommen zu erwirtschaften und für alle meine Bedürfnisse zu sorgen. Ich bin sicher, dass ich in Zukunft noch mehr Möglichkeiten zum Verkauf meiner Waren haben werde. Ich kann sogar meine Perlen außerhalb Ruandas verschicken, um mehr Geld zu verdienen. Mit diesem Geld möchte ich auf dem Land, das ich gekauft habe, mein eigenes Haus bauen und ein eigenes Zuhause haben. Und ich hoffe, dass ich meine Kinder in eine gute Schule schicken kann, damit sie genauso lernen können, wie ich es getan habe.

Übersetzt von: Sabrina Schmidt

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