Mein Name ist Yasmin: Ich hatte den Mut aufzustehen und mein Leben selbst zu führen

Geschichten aus Palästina

Triggerwarnung: Dieser Text handelt von Gewalt und Folter

Ich erkannte, dass das Leben mich verschlingen würde, wenn ich nicht den Mut fände, aufzustehen. also baute ich mich neu auf und führe mein leben nun mit stärke.

Mein Name ist Yasmin al-Jaabari, und mein Weg war geprägt von Schmerz, Widerstandskraft und dem festen Willen, für mich und meine Kinder stärker zurückzukehren.

Im Jahr 2005 veränderte sich mein Leben für immer: Ich wurde in der Nähe meines Hauses in Hebron im Westjordanland von den israelischen Besatzungstruppen verhaftet. Man beschuldigte mich fälschlich – ich hatte mit den Vorwürfen nichts zu tun. Die Anschuldigungen waren erfunden, und ich wurde zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt.

Vierzehn Monate mögen für manche kurz erscheinen, aber hinter Gittern fühlt sich jeder Tag endlos an. Ich erlebte eine Dunkelheit, die ich kaum in Worte fassen kann. Ich sah Dinge, die man nicht beschreiben kann. Uns wurde Sonnenlicht verwehrt, frische Luft verweigert. Wir lebten in stickigen Räumen, in denen selbst das Atmen ein Privileg war.

Yasmin

Was mich am meisten gebrochen hat, waren die Momente, in denen ich sah, wie schwangere Frauen im Gefängnis gebaren – an Händen und Füßen gefesselt, ihre ersten Schreie als Mütter erstickt durch Schmerz und Demütigung. Damals war ich selbst noch keine Mutter, aber diese Bilder ließen mich nie los. Später, als ich meine eigenen Kinder im Arm hielt, verstand ich erst wirklich, welches Leid diese Frauen ertragen hatten.

Die Behandlung im Gefängnis war grausam. Fünf Tage lang war ich in einer Zelle eingesperrt, ohne Wasser. Als man mir endlich welches gab, war es mit Chemikalien verseucht. Ich wusch mir damit die Haare – und verlor sie alle. Meine Haarwurzeln wurden dauerhaft geschädigt, und bis heute konnten Ärzte kein Heilmittel finden. Diese Wunde begleitet mich bis heute – sie hat nicht nur mein äußeres Erscheinungsbild, sondern auch mein Selbstwertgefühl beeinträchtigt. Doch selbst damit traf ich eine Entscheidung: Ich würde mich davon nicht definieren lassen. Ich würde kein Opfer bleiben.

Die Entlassung aus dem Gefängnis bedeutete noch lange keine Freiheit.

Die Gesellschaft wusste nicht, wie sie mit Frauen umgehen sollte, die im Gefängnis waren. Für viele waren wir eine Last. Es wurde getuschelt, geurteilt – als hätten wir Schande über alle gebracht. Als junge Frau war das eine der schwersten Prüfungen: nicht nur mit dem Erlebten im Gefängnis zurechtzukommen, sondern auch mit der Stigmatisierung danach. Aber ich weigerte mich, dieses Bild zu akzeptieren. Ich wusste: Wenn ich mich schwach halte, wird das Leben mich auffressen. Ich entschied mich, aufzustehen, mich neu aufzubauen und mein Leben mit Stärke zu führen.

Yasmin al Jaabari mit der Landesdirektorin von Women for Women in Palästina, Amani Mustafa

Als ich Mutter wurde, wurde mein Wille nur noch stärker. Meine Kinder gaben mir neue Gründe zu kämpfen. Ich wollte ihr sicherer Ort sein, ihr Rückhalt, ihr Vorbild. Ich wollte, dass sie ihre Bildung fortsetzen, dass sie über die Mauern hinaus träumen, die mich einst gefangen hielten. Und ich wollte mit ihnen gemeinsam weiterlernen – ihnen zeigen, dass Wachstum kein Alter und keine Grenzen kennt.

Deshalb trat ich im August 2025 dem Programm Stronger Women, Stronger Nations von Women for Women International in Palästina bei. Für mich war es ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit – ein Schritt hin dazu, die volle Verantwortung für meine Familie zu übernehmen, ohne auf andere angewiesen zu sein.

Das Programm wurde für mich mehr als nur eine Schulung – es wurde zu einer Rettungsanker.

Ich bin nun umgeben von Frauen, die – wie ich – herzzerreißende Geschichten mit sich tragen. Jede von uns hat Leid erlebt, aber gemeinsam schaffen wir eine neue Form der Solidarität.

Yasmin

Frauen, die jahrelang meine Nachbarinnen waren, wurden zu Freundinnen, sobald wir unsere Geschichten miteinander teilten. Gemeinsam lernen wir, wachsen wir, und bestärken einander.

Jede Sitzung gibt mir neue Werkzeuge an die Hand: wie man Geld spart, wie man für Notfälle plant, wie man finanzielle Sicherheit aufbaut. Das mögen einfache Konzepte sein – aber wenn man durch Instabilität gegangen ist, sind sie lebensverändernd. Ich habe begonnen zu glauben, dass meine Träume Gestalt annehmen können.

Teilnehmerinnen unseres Programms im Westjordanland, Palästina

Einer dieser Träume ist es, einen kleinen Lebensmittelladen in meiner Nachbarschaft zu eröffnen – einen Ort mit Grundbedarf, den Familien hier regelmäßig brauchen. Schritt für Schritt beginne ich, diesen Traum zu verwirklichen. Im Rahmen des Programms teile ich die Herausforderungen, denen ich begegne – und gemeinsam mit anderen Frauen suche ich nach Lösungen. Es geht dabei nicht nur um das Geschäft. Es geht darum, zu lernen, mir selbst zu vertrauen – als Entscheidungsträgerin, als Führerin meines eigenen Lebens.

Gleichzeitig trage ich weiterhin Hoffnungen in mir: Ich wünsche mir, eines Tages eine Behandlung für meinen Haarausfall bezahlen zu können, der mich seit dem Gefängnis begleitet. Ich wünsche mir ein sicheres Zuhause für meine Kinder und mich. Und ich wünsche mir, die Träume meiner Kinder wahr werden zu sehen – dass sie studieren, reisen, ein eigenes Auto besitzen – dass sie sich eine Zukunft aufbauen, die heller ist als meine Vergangenheit. Jeden Tag fordere ich mich selbst heraus, nicht aufzugeben.

Meine Vergangenheit war voller Schmerz – doch meine Zukunft baue ich auf Entschlossenheit.
Ich habe den Mut, für mich selbst aufzustehen …

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